In der Schweiz wird Wohnraum in den Städten immer teurer und knapper. Seit 2017 sind die Mietpreise um über 10 Prozent gestiegen, was viele Haushalte finanziell belastet. Für Mieter wird es zunehmend schwieriger, bezahlbaren Wohnraum zu finden, während auch Vermieter die Bürokratie und das als überreguliert empfundene Mietrecht als Belastung empfinden. Die angespannte Lage führt zu wachsenden Konflikten zwischen beiden Seiten.
Es ist ein kalter Dezembertag, als über hundert Mietparteien der Sugus-Häuser die Kündigung erhalten. Die Nachricht trifft sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel. „Es ist der totale Schock“, berichtet ein Mieter gegenüber dem SRF. Doch die Eigentümerin pocht auf ihr Recht: Die Wohnungen sollen saniert und zu deutlich höheren Preisen neu vermietet werden.
Das Beispiel der Sugus-Häuser ist kein Einzelfall. Während Mieter ächzen, fühlen sich auch Vermieter zunehmend eingeengt – zwischen steigenden Baukosten, Regulierung und öffentlicher Kritik. Doch woran liegt der Mietpreisanstieg wirklich? Und welche Lösungen gibt es?
Der Hauseigentümerverband, der Mieterverband und die WOGENO Bern, eine lokale Wohngenossenschaft, sind drei bedeutende Organisationen, die sich aktiv mit den Themen Wohnen, Mietrecht und Eigentum befassen und klare, teilweise kontrastierende Positionen vertreten. Diese Organisationen haben sich bereit erklärt, uns in einem ausführlichen Interview ihre Perspektiven und Meinungen zu aktuellen Herausforderungen und Entwicklungen in diesem Bereich näherzubringen.
Stephan Ischi, ein Vorstandsmitglied des HEV Bern und Umgebung, spricht im belebten Restaurant Bärenhöfli in der Nähe des Kornhauses als erster über die aktuelle Situation zwischen Mietern und Vermietern. Er betrachtet die meisten Mieter-Vermieter-Verhältnisse als unproblematisch und betont, wie wichtig es sei, ein gutes und respektvolles Verhältnis zu pflegen.
„Der Hauseigentümerverband ist extrem an einem fairen Verhältnis zwischen Mietern und Vermietern interessiert.“
-Stephan Ischi
Doch nicht jeder teilt diese Sichtweise. Ilja Fanghänel, unser Gesprächspartner von der WOGENO Bern, empfängt uns in der neugebauten Holligersiedlung, einem Paradebeispiel für den genossenschaftlichen Wohnungsbau. Er sieht das Verhältnis zwischen Mietern und Vermietern eher als „schwierig“. Seiner Meinung nach liegt dies vor allem an den gewinnorientierten Unternehmen, die zunehmend in den Immobilienmarkt investieren, um maximale Renditen zu erzielen. Diese Entwicklung, so Fanghänel, sei ein wesentlicher Faktor für die stetig steigenden Mietpreise.
Auch Sabina Meier vom Mieterverband Bern, die wir in einem kleinen Büro der Geschäftsstelle im Monbijou-Quartier treffen, teilt diese Einschätzung. Sie sagt: «Mieter sind immer mehr grossen gewinnorientierten Firmen gegenüber». Für sie ist die Profitgier dieser Unternehmen ein entscheidender Faktor für den Anstieg der Mietpreise in den letzten Jahren.
Stephan Ischi jedoch sieht einen anderen Hauptgrund für den Mietpreisanstieg: strenger werdende Regularien. Zwar macht er es nicht grundsätzlich schlecht, dass Vorgaben wie der Einbau bestimmter ökologischer Heizungen oder Solarzellen auf Baustellen gefordert werden – er hält diese Massnahmen an vielen Stellen für sinnvoll. Doch er kritisiert, dass sogenannte «100%-Lösungen» in vielen Fällen unnötig die Baukosten in die Höhe treiben und dadurch auch die Mieten ansteigen. In seinen Augen ist dies, und die damit verbundene viel zu tiefe Bautätigkeit, der wichtigste Grund für die steigenden Mietpreise.
Alle Interviewpartner sprachen sich für die Schaffung neuen Wohnraums aus, da dieser zum Lösen der Wohnungsnot erforderlich ist. Dabei kann man an verschiedenen Ansätzen arbeiten, um mehr Leuten eine Wohnung zu bieten.
Eine Möglichkeit wäre es, unbebautes Bauland ausserhalb der Städte zu nutzen, um neuen Wohnraum zu schaffen. Allerdings ist dies nicht die ideale Lösung, da damit wertvolle Grünflächen zerstört werden müssten. Dieser Grund spricht stärker für die Verdichtung des städtischen Raums. Statt neuer Siedlungen auf der grünen Wiese sollte man in den Städten mehr bauen, und dabei vor allem auf höhere Gebäude setzen, um den vorhandenen Raum effizienter zu nutzen. Grosse Luxuswohnungen, die den Markt weiter verknappen, sollten dabei, gemäss Meier und Fanghänel, vermieden werden. Ein vielversprechender Ansatz zur Bekämpfung des Wohnraummangels ist die Umnutzung leerstehender Büroflächen. Durch den Trend zum Homeoffice stehen zunehmend mehr Bürogebäude leer, insbesondere in und um Bern, wo viele Gebäude aufgrund des sinkenden Bedarfs an Büroflächen verfallen. Ein Umbau zu Wohnraum könnte eine sinnvolle Lösung sein, auch wenn die Lage vieler dieser Gebäude, oft an Autobahnen oder in Industriegebieten, die Umnutzung erschwert. Alle drei Interviewpartner sprechen sich auch für eine gewisse Lockerung der geltenden Bauvorschriften und Einspracheregeln aus, damit neue Projekte einfacher zu realisieren sind. Der MV und die WOGENO brachten auch als Idee den Wohnraum pro Person zu senken, um damit in der bestehenden Wohnfläche mehr Personen zu beheimaten. Doch wie soll erreicht werden, dass Leute auf ihren Wohnraum verzichten? Ilja Fanghänel präsentiert mit sogenannten Cluster-Wohnungen einen interessanten und sinnvollen Lösungsansatz. Diese Cluster-Wohnungen sind eine Mischform zwischen WGs und normalen Wohnungen. Bewohner haben ihre eigenen Schlaf- und Badzimmer, teilen sich aber einen gemeinsamen Wohnraum und eine Küche. Somit haben die Bewohner dieser Wohnungen ihren privaten Rückzugsort, aber auch die Lebendigkeit und Vorteile einer Wohngemeinschaft.
Ein weiterer Punkt, in dem der HEV und der MV weit auseinanderliegen, ist wie der Wohnungsmarkt grundsätzlich geführt werden sollte. Der Hauseigentümerverband sieht einen freien Markt, bei dem sich die Preise nach Angebot und Nachfrage orientieren soll. Die Wohnungen und Häuser gehören schliesslich dem Besitzer, also sollte er frei sein, diese zu einem fairen Marktpreis vermieten zu können. Wohnraum sollte also durch ein erhöhtes Angebot günstiger werden. Der Mieterverband jedoch fordert eine stärkere Durchsetzung der im Gesetz verankerten (OR 269) Sonderstellung für den Mietermarkt. Er soll so reguliert werden, dass die Vermieter sich an das Gesetz halten und nur begrenzt Gewinn abschöpfen können und somit die Preise billig bleiben. Die WOGENO-Bern nimmt in dieser Thematik eine spannende Rolle ein. Sie vermietet Wohnungen nach Kostenmiete, das heisst es wird kein Gewinn erzielt. Davon profitieren nicht nur die, die diese Wohnungen bewohnen können, sondern der ganze Markt, da der Druck auf Vermieter steigt. So kann der Markt stabil bleiben und es wird verhindert, dass er total abhebt. In Wien beispielsweise ist eine grosse Anzahl der Wohnungen im Besitz von Genossenschaften, welche die Wohnungen nur knapp über Kostenmiete vermieten. Dieses Modell gefällt auch dem MV, Sabina Meier bezeichnet sich als «Fan des genossenschaftlichen Wohnbaus». Es gibt jedoch auch Kritik an diesem Genossenschaftlichen Modell. Viele sehen nämlich ein Problem darin, dass die Wohnungen von der Stadt subventioniert werden auf die eine oder andere Art und Weise. So müssen Wohngenossenschaften unter anderem einen tieferen Baurechtszins als private Investoren zahlen. Stephan Ischi empfindet das als: «Diebstahl am Steuerzahler.». Auch Vorschriften, dass in einem neugebauten Quartier ein gewissen Anteil Genossenschaften zugutekommen muss sehen nicht alle positiv, da alle welche nicht in einer Genossenschaft sind dafür bezahlen.
Ilja Fanghänel rechtfertigt diese Vergünstigungen mit gemeinnützigen Projekten wie z.B Gemeinschaftsräume. Solche stechen auch in der bereits erwähnten Holligersiedlung ins Auge, zwischen den Häusern spielen Kinder gemeinsam auf dem Spielplatz, während Eltern und Grosseltern ihnen zuschauen und sich gegenseitig austauschen.
Auch ein viel genanntes Problem ist die Renovation von Wohnungen und damit verbunden ob und wie der Mieter diese mitbezahlen soll. Dies war auch der genannte Grund für die Leerkündigungen bei den Sugus-Häusern, wobei alle unsere Interviewpartner sich einig waren, dass eine solche Situation nicht vorkommen soll und darf, dabei werden die Leerkündigungen von Ischi als «kriminell» kommentiert. Die andere Frage sind Renovationen, welche im Gegensatz zu den Renovationen in den Sugus-Häusern, wirklich Notwendig sind. Abfallender Putz an Wänden, undichte Fugen und andere Probleme, welche den Bewohnern gegenüberstehen. Stephan Ischi kritisiert hier, ähnlich wie bei den Neubauten, die vielen Regularien welche es einzuhalten gibt, so gäbe es zum Beispiel im Kanton Basel-Stadt, welcher einen sehr starken gesetzlichen Mieterschutz pflegt Probleme, weil Investitionen wegen der Unmöglichkeit einer Mietanpassung nicht mehr gemacht würden. In der Folge werden auch keine energetischen Investitionen mehr getätigt, wie zum Beispiel der Ersatz fossiler Heizungen. Ilja Fanghänel meint hierzu, dass solche Investitionen durch Rückstellungen in der bisherigen Miete finanziert werden können. Falls das nicht klappt sei eben die Miete falsch angesetzt und im Vorhinein nicht gründlich berechnet worden.
Beim Thema Mieterschutz nehmen die Interviewpartner verschiedene Positionen ein. Stephan Ischi erzählt, dass in den Kantonen mit liberalen Gesetzen, weniger Probleme zwischen den beiden Vertragsparteien Mieter und Vermieter auftreten, als in Kantonen mit einem strengeren Mieterschutz. Sabina Meier stimmt dem zwar zu, sagt aber, dass dies auch logisch sei, weil sich der Mieter in Kantonen mit schwächerem Mieterschutz, überhaupt nicht wehren kann und einfach ohne Wenn und Aber die Konditionen der Hauseigentümer umsetzt.
Dreck im Treppenhaus, ständiger Lärm spät in der Nacht, solche Dinge sind ungern gesehen. Doch was soll man tun, wenn sich ein Mieter so benimmt? Die Antwort sollte klar sein, man kündigt ihm die Wohnung. Stephan Ischi zeigt aber auf, wie lange ein solcher potentieller Mieter die Kündigung herauszögern kann, dies empfindet er als frech gegenüber anderen Mitbewohnern und Mietern. Der MV und die WOGENO sehen diese Massnahmen allerdings als wichtig um z.B solche Situationen wie bei den Sugus-Häusern zu verhindern und den Mieter besser vor Kündigungen zu schützen.
«Das ist kriminell»
-Stephan Ischi
Abschliessend geben die Interviewpartner einen Einblick in die grössten Herausforderungen und Ziele ihrer Organisationen. Stephan Ischi betont die Bedeutung politischer Debatten, die es zu bewältigen gilt, um die Eigentumsrechte der Hauseigentümer zu schützen und der grassierenden Regulationswut Einhalt zu gebieten. In seinen Augen muss alles daran gesetzt werden, dass Bauen wieder einfacher wird und Regularien abgebaut werden. Nur so erreichet man, dass die Mietzinse nicht exorbitant steigen. Ein Beispiel hierfür ist die vergangene Abstimmung über das Solargesetz und den Gegenvorschlag, zu dem er uns einen Artikel der HEV-Zeitung zur Verfügung stellt, der gegen die Initiative, aber für den Gegenvorschlag plädiert. Auch Sabina Meier vom Mieterverband sieht politische Auseinandersetzungen als einen wesentlichen Punkt, um die Mietpreise zu senken und die Rechte der Mieter zu schützen. Ilja Fanghänel hingegen nennt das Wachstum der WOGENO als eines der grossen Ziele für die kommenden Jahre, um ihre genossenschaftlichen Projekte weiter auszubauen und damit den Druck auf den Markt zu verringern.
Als Erkenntnis gilt es mitzunehmen, dass sich die gesellschaftliche Wohnungsfrage kompliziert gestaltet und uns noch eine Weile beschäftigen wird. Doch es gibt interessante Ansätze, welche uns dabei helfen können.